Die Sturmwächter-Chroniken Kapitel 4

Was es mit dem Folgenden auf sich hat, findet ihr HIER heraus...


Als das Buch in die Hände der Hexenmeisterin gelangt, passiert etwas merkwürdiges. Mit schreckgeweiteten Augen bemerken die beiden Frauen, dass ein greller Lichtschimmer sich erst wie eine Blase um den Folianten ausbreitet, nur um gleich darauf in einem seltsamen Sog zurück zu gehen. Der plötzliche Wechsel von Hell zu Dunkel lässt kleine Punkte vor den Augen der beiden tanzen und es dauert einen Moment, bis ihre Sicht wieder klar wird. Zu Lelianas Erleichterung bleibt ihre Hand unversehrt, mit der sie nach der Lektüre gegriffen hat. Sie dreht und wendet das Buch, in ihrem Gesicht zunächst ein Ausdruck der Verwunderung, schließlich jedoch färben sich ihre Wangen ungewöhnlich rot und ihr wird heiß und kalt zur gleichen Zeit.

Aktanaruell, die noch nie Zeuge davon geworden ist, dass der Hexenmeisterin etwas die Fassung rauben konnte, zögert keine Sekunde und entwendet Leliana das, was ihr offensichtlich Unbehagen bereitet.

Mit einem lauten Protestschrei versucht diese noch zu verhindern, dass die Magierin einen Blick darauf werfen kann, da liest sie schon laut vor: „Ein schlüpfriger Romantikschmöker...“

Das halb verkniffene Lachen, das nun folgt, ist fast unerträglich für sie.

„Gib das sofort wieder her!“, ruft die Hexenmeisterin verzweifelt, während Aktanaruell keinen Gedanken daran verschwendet, ihrer Gefährtin Gehör zu schenken.

Im Gegenteil, sie dreht sich mit hochgezogenen Brauen und großen Augen zu Leliana um, in gespielter Empörung hält sie ihr den Einband entgegen, auf dem nun eine Illustration zu sehen ist.

In eindeutiger Pose hält eine Frau einen Mann, dessen Hemd aufgeknöpft nur noch halbherzig an dessen Oberkörper herabhängt, eine muskulöse Brust preisgebend. Sein Mund ist wie zum Kuss geformt, die Augen der Frau sehnsüchtig darauf gerichtet, als hätte der Künstler den Moment kurz vor dem leidenschaftlichen Schritt einfangen wollen.

Hinter ihnen beginnt nun Azpep mit einer erneuten Reihe glucksender, jauchzender Laute, seiner Belustigung ob des Geschehens Luft zu machen. Der Lachanfall scheint noch schlimmer zu sein als der, den er wegen des Leerwandlers hatte.

Während Aktanaruell nun die erste Seite aufschlägt, platzt es aus dem Wichtel heraus: „Immerzu liest sie diese Bücher und ist wie versessen darauf, einen neuen Band zu bekommen!“

Sein dreckiges Lachen hält an, obwohl seine Meisterin sich sehr langsam, sehr bedrohlich zu ihm umdreht. Die Hände zu Fäusten geballt, ihr Brustkorb hebt und senkt sich sichtbar unter der Anspannung, die sie verspürt.

„‘Oh, dieser Marcus!‘, sagt sie dann immer!“, und schon beginnt sein feixender Hüpfe-Tanz, um seiner Begeisterung Luft zu machen, dass auch Leliana eine Schwachstelle besitzt. Er bemerkt wegen seiner unverblümten Ausgelassenheit nicht, wie es um sie herum vor dunkler Macht zu knistern beginnt.

„‘Als sich Nahhi anmutig näherte, warf ihr der alternde Krieger einen durchdringenden Blick zu.‘“, rezitiert der Wichtel die ersten Worte der Geschichte.

Seine Betonung der einzelnen Wörter hätte Aktanaruell losprusten lassen, jedoch kommt sie nicht umhin, die Bedrohung zu bemerken, die von der verspotteten Hexe auszugehen beginnt.

Mit hektischen Gesten versucht sie noch, den Diener zu warnen und ihn zum Aufhören zu bewegen, doch seine Vorstellung hat gerade erst begonnen. „‘Ihr seid wohl gekommen, um Eure Belohnung für die getöteten Murlocs einzufordern.‘ Ihre Augen wanderten hinunter zu dem mächtigen Breitschwert, das von seinem Gürtelbund baumelte. ‚Das hängt ganz von der Belohnung ab, Marcus.‘ Sie wickelte ihre Haare verspielt um den Finger und tat, als würde sie nicht bemerken, wie unruhig er in ihrer Gegenwart wurde.‘“, fährt der Wichtel fort, seine Darbietung mit übertrieben stolzem Umherschreiten unterstreichend und klimpert mit den Wimpern. „‘Vielleicht will ich sie gar nicht.‘“

Die hohe Stimme, derer er sich bedient um die Protagonistin zu vertonen, hält an, als plötzlich seine gesamte Gestalt in einem einzigen Muskelkrampf zu erstarren beginnt. Der Klang des spitzen Schreis, der sich seiner Kehle entringt, hallt über das ganze Plateau, während ihm bewusst wird, dass er es dieses Mal übertrieben hat. WIRKLICH übertrieben...

„DAS war dein LETZTER Fehler!“, schallt es in verzerrter Tonlage zu ihm herüber.

Sein angsterfüllter Blick gleitet flehentlich zu Aktanaruell, die ihre Hand vor den Mund geschlagen hat und nur noch zu beten scheint.

In einem winzigen Augenblick manifestiert sich die dunkle Aura um Leliana, die sich aufgrund ihres Zorns angesammelt hat, und sie erscheint in einer dämonischen Gestalt voller Hass und Schwärze. Blitzschnell schießt ihr Arm nach vorne in Richtung Azpep, der von dem glühenden, onyx-violetten Geschoss eingehüllt wird und unter Dampfen und Zischen vergeht sein winziger Körper. Nur eine kleine Rauchschwade zeugt noch einen Moment lang von seiner ehemaligen Anwesenheit.

Mit einem drohendem Blick aus den Augenwinkeln über ihre Schulter wendet sich Leliana in ihrer furchterregenden Dämonengestalt Aktanaruell zu.

„I-ich g-glaube, das gehört d-dir“, stottert die Magierin und hält der Hexe mit zittriger Hand das Buch hin.

Sie knurrt noch ein letztes Mal mit ihrer verzerrten Stimme, ehe sie sich mit einem eindrucksvollen Flügelschlag von der Magie verabschiedet. Dann ziehen sich ihre Augenbrauen misstrauisch zusammen, Aktanaruells Herz macht einen Satz, als sie glaubt, der Zorn ihrer Gefährtin sei doch noch nicht verflogen.

„Jetzt sieh dir das an...“

Die Magierin folgt ihren Worten, die von einem Kopfschütteln begleitet werden und dreht sich um, erleichtert, doch nicht der Quell ihrer zerstörerischen Aufmerksamkeit zu sein.

„Das ist doch UNFASSBAR!“, entfährt es ihr in vollkommener Entrüstung.

Ihr Blick wandert von dem Sockel zu Lelianas Hand, in der sich das Buch befindet. Nun, irgendein Buch, wie sie jetzt feststellen müssen. Offenbar ist das, was sie erbeutet haben, bloß eine Attrappe, denn in dem bekannten Schutzkreis schwebt erneut der mysteriöse Foliant, an den scheinbar kein Herankommen ist.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen da steckt eine Verschwörung der Kirin Tor dahinter...“, grübelt die Hexe laut vor sich hin „Diese alten Geheimniskrämer hätten sicherlich ihre Freude an so hinterlistigen Verzauberungen...“

Nickend pflichtet Aktanaruell ihrer Freundin bei.

„Nun mal langsam, wen ihr hier beschuldigt“, ertönt es mit einem Mal hinter ihnen und gleichzeitig drehen sich die Frauen zu der tiefen, männlichen Stimme um, die wie aus dem Nichts erschienen ist. Sie staunen nicht schlecht, als ihnen ein bekanntes Gesicht mit streng gerunzelter Stirn entgegen blickt.

„Amazeran?!“, kommt es wie aus einem Munde von den beiden, die ihr Erstaunen darüber nicht verbergen können, den groß gewachsenen menschlichen Magier hier anzutreffen.

„Was machst du denn hier?“

„Wie bist du hergekommen?“

„Hast du von den anderen etwas gesehen?“

„Weißt du, wo wir hier sind?“

Fast gleichzeitig überfallen sie ihn mit ihren Fragen und verstummen, als er ruhig eine Hand hebt, um sie zum Schweigen zu bitten.

„Eins nach dem anderen, bitte. Ich verfolge euch nun schon eine Weile“, die Augenbrauen der Frauen rutschen in die Höhe, sie wechseln fragende Blicke, „nachdem mir die ungewöhnliche Stille im Gildenhaus aufgefallen war, sah ich euch einen Sockel beschwören der einen seltsamen, sprechenden Kopf trug. Ich wollte euch gerade fragen, was los sei, da spürte ich etwas seltsames und entschied mich für eine… subtilere Art der Unterstützung. Also habe ich dank meiner Fähigkeiten im Verborgenen beobachtet, was geschah.“

„Dann weißt du, wer Tac mitgenommen hat?“, platzt Aktanaruell ungeduldig dazwischen, wird jedoch von einem durchdringenden Blick des Magiers wieder zum Schweigen verurteilt. „‘tschuldigung...“

Ein leichtes Rollen der Schultern und des Kopfes, um sich zu lockern und wieder den Faden seiner Geschichte aufzunehmen ist alles, was Amazeran sich gestattet, um seinen Emotionen Raum zu geben, dann fährt er fort als sei nichts gewesen: „Die Büste mit dem sprechenden Kopf verschwand durch ein Portal. Es wollte sich gerade schließen, doch ich hielt die Verbindung dazu offen. Gerade in diesem Augenblick seid ihr zurückgekehrt und hindurch getreten. Mir blieb also keine andere Wahl, als euch zu folgen. Seither wurde ich Zeuge eurer mehr oder minder erfolglosen Versuche, dieses Buch dort zu untersuchen. Mit Sicherheit lässt sich sagen, dass ein mächtiger Zauber daran geknüpft ist und, dass es tatsächlich zu uns Sturmwächtern gehört. Allerdings scheint es weder die Zeit, noch der Ort dafür zu sein, um seine Geheimnisse zu offenbaren.“

Enttäuschung macht sich breit, als sie nicht die erhoffte Wendung durch das Auftauchen des Magiers erleben. Stattdessen drehen sie sich erneut mit hängenden Schultern zu dem Buch

um.

„Interessante Wahl...“, vernimmt Leliana ein leises Murmeln, das nur sie hören kann, als Amazeran beim Vorbeigehen über ihre Schulter vielsagend auf den Romantikschmöker schielt und sie mit geballter Faust stehen lässt, all ihre Hoffnung vernichtend, er könne diesen Teil der peinlichen Ereignisse übersehen haben. Leider kann sie ihn nicht so einfach pulverisieren. Dank zahlreicher Abenteuer, die sie bereits gemeinsam durchgestanden haben, weiß die Hexe nur zu gut, dass dies kein Gegner für sie ist und sie gut daran täte, ihn

weiterhin auf der Seite ihrer Verbündeten zu wissen. Also schließt sie die Augen, atmet tief ein und lässt den Seitenhieb über sich ergehen. Gäbe es ein Haustier zur Belohnung, würde sie natürlich nicht zögern, selbst einen so übermächtig erscheinenden Gegner wie den Magier herauszufordern, aber so überwiegt ihr Lebenswille und sie denkt kurz daran, wie Azpep unter ihrem vernichtenden Chaosblitz geschmolzen ist, um sich aufzumuntern und lässt das Buch unauffällig in ihrer magischen Tasche verschwinden.

„Wenn wir also hier und jetzt deiner Meinung nach nicht an das Buch ran kommen – was sollen wir sonst machen?“, will Aktanaruell nun wissen. Ihr sind offenbar fürs Erste die Ideen und das Mana ausgegangen.

„Meiner Meinung nach macht es Sinn, sich die Umgebung mal genauer anzusehen. Mein Zugang zur Magie jeglicher Art von Teleportationszaubern wird unterdrückt. Daher kann ich uns auch nicht weg bringen und wir müssen versuchen, einen anderen Ausweg zu finden.“

Dies als den besten Vorschlag betrachtend, schließen sich die beiden Frauen ihrem Gefährten an und stellen sich links und rechts von ihm am Rand des Plateaus auf, von dem aus sie nun in ein weites, felsenüberhäuftes Tal blicken. Offenbar haben sie den Großteil der Nacht hinter sich gebracht, denn die ersten Strahlen der Sonne tasten sich zögerlich über die karge Landschaft.

„Kein Anzeichen von Leben...“, bemerkt Aktanaruell und lässt ihre Augen in die Ferne

schweifen. „Was ist… seht ihr das auch?“ Ihr Finger deutet gen Himmel.

„Eine zweite Sonne?“, sagt Amazeran verwundert, während sich Leliana in nachdenkliches Schweigen hüllt....