Inseparable Enemies - Unzertrennliche Feinde - Kapitel 2

Zwei Monate zuvor.

Hansen riss den Steuerknüppel schlagartig nach rechts, betätigte zwei der vier Schalter am Hebel der Schubkontrolle und zog den Abfangjäger in eine enge Wende, um der Zielerfassung seines Verfolgers zu entgehen. Der panisch, in roten Lettern blinkende, Schriftzug „Lock“ des HUDs erlosch nur wenige Sekunden später und 31 zündete mit einer weiteren Betätigung zweier Schalter sowohl die vorderen Backborddüsen, als auch die hinteren Steuerborddüsen. Die Maschine des Kapitän-Leutnants rotierte daraufhin um die eigene Achse, bis das Ziel in dessen Visier erschien. Noch bevor die Scanner den feindlichen Jäger erfassen konnten, hatte er den Abzug betätigt. Der gegnerische Pilot deaktivierte innerhalb des Bruchteils einer Sekunde den Vorwärtsschub, hatte vollen Gegenschub gegeben, und war zum vollständigen Halt gekommen. Hansens Schuss verfehlte sein Ziel und verschwand irgendwo in den Tiefen des Alls. Der Klon grunzte anerkennend auf. Die Beschleunigungskräfte, die auf den gegnerischen Piloten wirkten, mussten enorm sein. Und im Gegensatz zu ihm selbst, war der Körper des Fellknäuels nicht augmentiert. Der andere Pilot würde jedes Manöver, das er flog, voll spüren.

Sein Kontrahent hatte diese Sekunde genutzt, um den Hauptantrieb wieder hochzufahren, die unteren Steuerdüsen zu zünden und in einem 90° Winkel senkrecht nach oben aus Hansens Flugbahn zu entkommen. Der Klon ließ die Steuerbordtriebwerke aufheulen, rotierte seinen Jäger um 180°, ohne die Flugrichtung zu ändern und betätigte den Abzug des Steuerknüppels erneut, ohne auf die Zielerfassung zu warten. Der Andere wich den Projektilen, die Hansens Railguns verlassen hatten, mit einem waghalsigen Manöver aus und setzte unmittelbar zum Gegenangriff an.

Die Geschosse kreuzten die Flugbahn des Klons nicht einmal in dessen Nähe. Ein leichtes Lächeln umspielte Hansens Mundwinkel. Eines war sicher: Vom Fliegen verstand sein Gegenüber auf jeden Fall mehr als vom Schießen. Eine Schande.

Der Gedanke daran, einen derartig begabten Piloten töten zu müssen, bereitete dem Klon beinahe physische Schmerzen. Zu was diese Leute wohl mit einer richtigen militärischen Ausbildung in der Lage wären? Hansen seufzte und brachte den anderen Abfangjäger wieder in sein Visier. Eine Sekunde später hatte der Computer die Geschütze aufgeschaltet.

„Na los, weich aus“, feuerte eine leise Stimme, die sich in der hintersten Ecke des Verstandes des Klons eingenistet hatte, den Kontrahenten an. Etwas, das dem Imperativ in seiner Schläfe gar nicht gefiel. Die Projektile hielten voll auf den gegnerischen Jäger zu. 31 war sich schon sicher gleich Zeuge zu werden, wie die beiden ferro-magnetischen Geschosse das Cockpit des Abfangjägers zertrümmern würden. Zur großen Verwunderung des Klons kam es anders: Er sah, wie der Pilot dem abgefeuerten Schuss – sprichwörtlich in der letzten Sekunde – mit einer Schraube auswich, in einen Immelmann überging und aus seinem Sichtfeld verschwand. Hansens Augen weiteten sich – dieses Manöver hatte er schon lange nicht mehr gesehen.

31 blickte auf den Radarschirm hinab, auf dem der rote Punkt am hinteren Rand aufgetaucht war. Er zündete die Manöverdüsen erneut und rotierte seine Maschine, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie sich der Jäger streckte und von einer Raumzeitverzerrung verschlungen wurde. Dem anderen war es gelungen auf Überlichtgeschwindigkeit zu springen.

Es war zu schade, dass er so in den Kampf vertieft war, dass er nicht bemerkt hatte, wie der gegnerische Pilot vor knapp zwei Minuten damit begonnnen hatte, den Alcubierre-Antrieb zu laden. Das sachte Lächeln auf Hansens Zügen weitete sich zu einem schiefen Grinsen, als er aufhörte „Amazing Grace“ zu summen. 31 gab die Koordinaten der ‚Eclipse‘ ein und aktivierte die Ladesequenz des Überlicht-Antriebes.


Catherine Deveraux starrte mit zu Schlitzen verengten Augen auf den Abfangjäger Kapitän-Leutnant Hansens, der gerade zur Landung ansetzte. Selbst die Techniker, die sich einige Meter entfernt des Feldwebels aufhielten, blickten sich verwundert um, von wo auf dem Flugdeck der ‚Eclipse‘ das leise, knirschende Geräusch kommen mochte. Erst als Deveraux sich zu einer der Wände begab, dort einen Schalter am Intercom-System betätigte und „Feuerwehrtrupps Eins, Zwei und Vier zu Landebahn Drei. Wiederhole – Feuerwehrtrupps Eins, Zwei und Vier zu Landebahn Drei. Dies ist keine Übung“, ins Mikrofon knurrte, war das Geräusch ihrer knirschenden Zähne verstummt.

Hansens Abfangjäger sah aus wie ein Schweizer Käse. Sie vermutete, dass die Maschine momentan aus mehr Einschusslöchern als Metal bestand. An den Treibstoff, der aus einigen der Löcher im Rumpf des Schiffes ran, dachte sie besser gar nicht erst. Catherine verschränkte die Arme und beobachtete die Feuerwehrleute, die um den Mark-IV Jäger des Klons wuselten und versuchten die Treibstofflache, die sich unter diesem gebildet hatte, einzudämmen.

Der Flugstil des ‚Alten‘, wie die übrigen Mitglieder Hansens Geschwader ihren Kommandeur nannten, war in den vergangenen Wochen und Monaten zusehends risikofreudiger geworden. Es war ein offenes Geheimnis, dass die ‚Halbwertszeit‘ der meisten Soldaten dank des Imperativs stark begrenzt war. Kaum einer der Klone erlebte den fünfzigsten Geburtstag, aber Hansen mit seinen gerade einmal 30 Jahren, war ziemlich früh dran. Kapitän Walker würde etwas unternehmen müssen, wenn er nicht wollte, das der Ka-Leun irgendwann das halbe Deck in die Luft jagte. Sie sah, wie Hansen aus der Maschine geklettert war und nun in Richtung des Ausganges, auf sie zu kam.

Deveraux verzog das Gesicht, als der Klon an ihr vorbei stapfte. Sie verschränkte die Arme, schloss die Augen und verkündete mit einem kaum zu überhörenden spöttischen Unterton: „Für den Fall, das sie zuviel haben, Herr Ka-Leun, empfehle ich ihre Dienstwaffe.“ Sie öffnete die Lider und blickte zu der deutlich über zwei Meter großen Gestalt auf.

Hansen stieß die Luft aus den Lungen, ein sachtes Lächeln auf den Zügen: „Wenn die Dinge nur so einfach wären, Feldwebel.“ Er nickte ihr zu und verließ den Raum. Catherine starrte dem Kapitän-Leutnant hinterher. Weshalb mussten die Klone der Hansen Reihe nur so eigen sein? Die neueren Modelle waren in dieser Beziehung deutlich „pflegeleichter“.


Keine Stunde später hatte Hansen die Nachbesprechung wieder verlassen und machte sich auf den Weg zu seinem Quartier. Das Debriefing war mehr oder weniger wie erwartet verlaufen: Man hatte die Abschüsse während der Mission bestätigt und er bekam die übliche Rüge, da eine der feindlichen Maschine entkommen konnte – alles wie gehabt. Für heute war er auf jeden Fall an dem Punkt angekommen, an dem er genug hatte. Er hatte schon relativ früh bemerkt, dass es ihm mit fortschreitendem Alter zunehmend schwer fiel, das übliche ‚keep smiling‘ aufzusetzen. Den Wahnsinn zu ignorieren, den die meisten seiner Schöpfer befallen hatte, war in den Augen des Klons kaum noch möglich. Der Krieg tobte nun sein annähernd 20 Jahren und egal, wie viel Boden die Diener auch gutmachten, die TSA antwortete mit einem immer aggresiveren Vorgehen darauf – ohne damit wirklich etwas zu erreichen. Langsam war er an dem Punkt angekommen, an dem ihm all dies zu viel wurde. Er wollte nur noch seine Ruhe.

Auch wenn er diese nicht bekommen würde, konnte er sich zumindest für kurze Zeit zurückziehen. Zeit, in der Herr seiner Selbst war. Hansen hatte gerade die Mütze vom Kopf genommen und sich auf das Bett sinken lassen, als sich der Summer der Türsteuerung zu Wort meldete. 31 seufzte: „Herein.“


Fähnrich Becker starrte Hansen – dem ‚Alten‘ – hinterher, als er den Nachbesprechungsraum verlassen hatte. Da war etwas, das ihr nicht aus dem Kopf wollte. Sie ließ den Blick zurück zum Display schweifen, das an der Stirnseite des Raumes befestigt war. Kapitän Walker hatte den Verlauf der Aufklärungsmission anhand der Videodaten der einzelnen Jäger besprochen, als ihr etwas aufgefallen war. Hansen hatte die letzte der gegnerischen Maschinen angegriffen und lieferte sich für fast 20 Minuten einen ausufernden Zweikampf mit dem feindlichen Piloten, bevor es diesem gelang, auf Überlicht zu springen. Exakt das war der Punkt, den sie eigenartig fand. Für gewöhnlich meldeten die Sensoren den Anstieg der Exotischen Materie-Level bereits Minuten vor dem eigentlichen Sprung. Der Alte hatte es irgendwie fertig bekommen, diesen Punkt so gekonnt zu ignorieren, dass es auch dem Imperativ nicht aufgefallen war – und die Möglichkeiten dies zu bewerkstelligen, waren gelinde gesagt gering.

Becker blickte sich um: Sie war dem Alten gefolgt, stand vor Hansens Quartier und hatte den Summer betätigt. Ein leicht knurrig klingendes ‚Herein‘ ertönte aus dem Raum, kurz bevor das Schott zur Seite glitt.

„Fähnrich, wie kann ich helfen?“, erkundigte Hansen sich, der sie misstrauisch musterte.

„Darf ich eintreten, Sir? Ich hätte eine Frage“, fragte Becker, die im Rahmen des Schottes stramm stand. Hansen hob eine Braue, nickte und deutete auf einen Stuhl.

„Also, 23?“

Becker nahm Platz, wartete die endlos erscheinende Sekunde, bis sich das Schott zum Quartier ihres Kommandeurs geschlossen hatte und erkundigte sich in flüsternder Tonlage: „Wie haben Sie es getan?“ Sie hatte die Augen zu Schlitzen verengt und starrte den alten Klon an.

„Wie habe ich was getan, Fähnrich?“

„Die gegnerische Maschine. Sie müssen die Meldung gesehen haben, dass der Jäger dabei war, auf Überlicht zu springen.“

Hansen lächelte und lehnte sich gegen die Wand zurück. „Fähnrich. Ihnen ist doch klar, dass Sie mir hier Insubordination unterstellen, oder? Und alleine Ihre Andeutung, dass es möglich sein könnte, den Imperativ zu überlisten ist exakt dasselbe. Zu Ihren Gunsten gehe ich davon aus, dass Sie die Antwort auf ihre Frage bereits kennen und sie von daher auch keiner weiteren Beachtung bedarf.“

Becker lehnte sich, die Unterarme auf den Knien ruhend, nach vorne. „Kann ich das Scheißding wirklich ruhigstellen?“

Hansen lehnte sich, eben wie Becker, nach vorne, lächelte und winkte sie mit einem Zeigefinger näher zu sich. „Ich weiß nicht, wovon Sie reden, Fähnrich.“ Er zwinkerte und deutete mit dem Kopf gen Tür. „Sie dürfen dann gehen, Fähnrich.“

Becker erhob sich, ging zur Tür, fixierte den alten Klon kurz aus den Augenwinkeln und verließ den Raum wieder.

Becker seufzte. Wenn der Alte etwas konnte, dann war es so zu reden, dass ihm niemand einen Strick daraus drehen konnte. Sie schloss die Lider und befreite ihr Unterbewusstsein von den endlosen Zahlenreihen, welche ihr inneres Auge abgerufen hatte.


Hansen blickte dem jungen Klon hinterher. Becker hatte gerade ihr 16. Lebensjahr vollendet und dies hier war ihr erster Auftrag, nachdem sie in den Augen ihrer Schöpfer als ‚ausgewachsen‘ galt. Anders als seinem zweiten Flügelmann, Fähnrich Voigt, traute er es Becker durchaus zu, dass sie auf sich selbst gestellt herausgefunden hatte, wie sie den Imperativ überlisten konnte. Wenngleich sie jung sein mochte, war ihm zumindest eines bereits früh an ihr aufgefallen: Im Gegensatz zu Voigt, erwies sich Becker als besonnener in ihrem Vorgehen.

Einen Fehler, der nach Hansens Erfahrungen, Voigt noch teuer zu stehen kommen würde, beging Becker nicht – sie pflegte ihren Gegner nicht zu unterschätzen.

Die Gedanken des Klons schweiften weiter, als der Alarm über das Lautsprechersystem ertönte. 31 stand auf und warf einen Blick auf das Terminal des Computersystems. In roten Lettern las er die Worte „De-Warp imminent. All Wing-Commander report for mission briefing immediately.“ Der Klon nahm die Mütze vom Tisch, setzte sie auf und wollte gerade seine Kabine verlassen, als er kurz innehielt. „Computer, Nachricht aufzeichnen“, wies er den Rechner knapp an.

Keine Fünf Minuten später befand er sich im Korridor außerhalb seines Quartiers und marschierte in Richtung der Einsatzbesprechung.

Captain Walker erwartete ihn bereits: „Wie schön, dass Sie endlich zu uns finden, Herr Ka-Leun!“, blaffte er Hansen umgehend an. 31 legte die flache Hand an die Krempe der Mütze, stand still, nickte und grüßte den Vorgesetzten: „Capn’.“ Der Offizier ignorierte den Gruß. „Also, 31. Ihr Versagen, den letzten Jäger zu zerstören, hatte tatsächlich einen positiven Nebeneffekt: Vor etwa einer Stunde gelang es uns, die Signatur des Jägers zu triangulieren und siehe da – die OPS empfing eine zweite Warp-Signatur, welche wir der ‚Raleigh‘ zuordnen konnten. Ein Abfangkurs ist bereits programmiert. Unseren Berechnungen zufolge führt der nächste Sprung zu diesen Koordinaten.“ Walker deutete auf einen Punkt im Navigationscomputer und legte ein dreidimensionales Gittermodell auf den sich in der Mitte des Raumes befindlichen Holo-Projektor.

Es handelte sich um ein veraltetes Schiff der Lafayette-Klasse, minimale Bewaffnung – nur Plasma-Werfer, keine ernsthafte Bedrohung. Hätten die Diener sie mit Steinen beworfen, wäre das Ergebnis ein ähnliches gewesen: Mit diesem Waffentyp schwerere Schäden zu verursachen, war höchst unwahrscheinlich. Mit viel Glück würden sie den Lack des terranischen Basisschiffs zerkratzen. Mit den Verteidigungssystemen der Diener sah es nicht besser aus: Der veraltete Träger verfügte nicht einmal über moderne Schildsysteme. Nur über die alten Deflektoren, die in erster Linie dazu gedacht waren, bei Überlichtgschwindigkeit Asteroiden und kleinere Hindernisse aus dem Weg zu räumen. Keine Multi-Phasen-Schilde wie jene, über die sie verfügten. Hansen spürte einen Schwall Übelkeit in sich aufsteigen. Das hier würde kein fairer Kampf werden.

Der Klon schritt um den Holo-Projektor und studierte die Daten. „Welche Jäger-Eskorte erwartet uns?“, wandte er sich an seinen Kommandeur.

Walker zuckte mit den Schultern. „Nichts Nennenswertes. Wir vermuten, dass Sie auf die Jägertypen treffen werden, mit denen Sie bereits während ihrer Aufklärungsmission die Bekanntschaft gemacht hatten - Maschinen der Klasse II oder III vielleicht.“ Hansen nickte geistesabwesend. „Mark II oder III, wie die Lämmer zur Schlachtbank“, schoss dem Klon durch den Kopf. Die aktuellen Mark IV-Jäger verfügten über die doppelte Schildkapazität und die Panzerung war beinahe dreimal so stark. Die letzten Missionen zeigten bereits, das der Gegner viel fliegerisches Können an den Tag legen musste, nur um ihnen lebend zu entkommen. Der Kapitän sprach mit ihm zugewandtem Rücken weiter. „Sie fangen die Jäger ab und alles, was sonst zu fliehen versucht. Wir werden uns um die Raleigh kümmern. 31? Nach Ihrem letzten Einsatz ein gutgemeinter Ratschlag: Wenn dieses mal auch nur ein einziges feindliches Schiff ‚entkommen‘ sollte, lasse ich den Imperativ ihr Gehirn in Brikett verwandeln. Weggetreten und für Start vorbereiten, ihre Staffel wartet.“

Hansen verließ die Einsatzbesprechung und begab sich auf direktem Weg zum Startdeck. Er zog seinen Raumanzug an und nahm den Helm aus dem Spind unter den Arm. Becker und Voigt erwarteten ihn bereits, exakt wie Walker es gesagt hatte.

„Herr Ka-Leun. Unsere Ziele?“, erkundigte Voigt sich, der wie üblich stramm stand, kurz und knapp.

Hansen seufzte: „Wir werden den feindlichen Begleitschutz ausschalten. Die ‚Eclipse‘ wird sich um die ‚Raleigh‘ kümmern. Voigt?“ Der junge Klon wandte sich ihm zu. „Unterschätzen sie den Gegner nicht wieder. Wenn wir diese Leute in die Ecke treiben, können sie gefährlich werden. Also spielen sie nicht mit dem Feind, Fähnrich!“

Voigt verzog das Gesicht und erwiderte knapp: „Jawohl, Herr Ka-Leun!“ Hatte der Alte die Fellknäuel gerade tatsächlich als ‚Leute‘ bezeichnet?


Als Hansen sich dem Jäger näherte, wurde er von Feldwebel Deveraux aufgehalten.

„So Herr Ka-Leun, alles bereit. Bringen Sie mir das Mädchen dieses Mal ohne Kratzer im Lack zurück, wenn möglich. Wie gewünscht mal wieder keine Lenkkörper im Load-out, ‚close and personal‘ wie üblich?“

31 warf der Mechanikerin einen vernichtenden Blick aus den Augenwinkeln zu, knurrte und nahm in der Steuerkanzel platz. Er setzte den Helm auf und versiegelte das Cockpit. Den Fehler, seine Vorgesetzten das Load-out festlegen zu lassen, würde er nach der Geschichte auf Phobos nicht erneut begehen. Zwar konnte man ihn zum Töten zwingen, aber dies würde nach seinen Regeln geschehen. Wenn er schon keine wirksame Möglichkeit hatte, sich diesem Wahnsinn zu entziehen, so konnte er dem Gegner zumindest die Ehre erweisen und ihm beim Sterben in die Augen sehen. Keine fünf Minuten später katapultierte man ihn in das Vakuum des Nichts.


Die junge Schneeleopardin spürte, wie ihr das Essen hochkam. Zwar versuchte sie, sich gegen den überwältigenden Reiz zu wehren, erbrach sich aber am Ende doch in ihren Helm. Die Notsysteme des Anzuges verrichteten ihre Arbeit zuverlässig und begannen damit, die Reste dessen, was sich eben in ihrem Magen befunden hatte, abzupumpen. Der Anblick des halb verkohlten Piloten, der auf ihren Schutzschirmen verglühte, und ihr brennend im Raum treibendes Mutterschiff waren eindeutig zu viel. Willow konnte spüren, wie nackte Panik langsam von ihren Knöcheln aus heraufkroch und letztlich kompletten Besitz ergriff.

Das terranische Schiff jagte die Raleigh seit mehreren Tagen von einem System ins andere und sie hatte während dem schon genügend Grausamkeiten gesehen. Einer ihrer Kameraden wurde glatt enthauptet, als ein Geschoss der terranischen Railguns die Außenhaut ihres Trägers durchschlug. Die Brückenbesatzung der Raleigh hatte nicht einmal Zeit gehabt, die Schilde zu aktivieren, so plötzlich war das terranische Trägerschiff ins System gesprungen und hatte das Feuer eröffnet. Sie waren den Menschen hoffnungslos unterlegen.

Das war sie, die berühmte ‚Gnade‘ gegenüber den Rebellen, von denen die Terranische Systemallianz so gerne in ihrer Propaganda sprach. „Rebellen“, schoss es ihr durch den Kopf. Dachten die Menschen ernsthaft, sie könnten eine intelligente, empfindungsfähige Rasse erschaffen und dann wie Sklaven und Eigentum halten? Komplett ohne Gegenwehr? Die bisherige Geschichte der Spezies „Mensch“ sollte ihr diese Frage im Grunde beantworten.

Wie zum Teufel war sie nur in diese Situation geraten?


Alles hatte nur wenige Stunden zuvor begonnen. Ihr Aufklärungsflug war von einer Staffel terranischer Jäger überrascht, und bis auf sie selbst, vollständig aufgerieben worden. Im Grunde hatte sie ihr Überleben nur zwei Punkten zu verdanken: Zum einen war es ihr rechtzeitig gelungen, ihre Systeme vollständig zu deaktivieren, und so vorzutäuschen, nicht mehr als ein Stück treibenden Schrottes zu sein. Zum zweiten hatte der andere Pilot, der sie zum Schluss doch aufgespürt hatte, sich derart in seinen Blutrausch vertieft, dass er wohl nicht bemerkte, wie sie begonnen hatte, ihren Überlicht-Antrieb zu laden.

Ihre Flucht zurück zur ‚Raleigh‘ danach war nicht mehr als eine Ansammlung verschwommener Sinneseindrücke. Die Mischung aus panischer Angst und Adrenalin, welches ihr Herz mit immer härteren Schlägen durch ihre Venen pumpte, hatte die meisten Wahrnehmungen ausgelöscht. Sie erinnerte sich daran, ihren Raumanzug mit Atmungsflüssigkeit geflutet zu haben, um bei den stärker werdenden Fliehkräften, nicht die Besinnung zu verlieren. An dass, was zwischen diesem Punkt der Zeit und ihrer Rückkehr auf die ‚Raleigh‘ geschehen war, erinnerte sie sich kaum. Ihr Unterbewusstsein schien die Kontrolle über ihren Körper auf eine beinahe mechanische Art und Weise übernommen zu haben.

Das nächste wache Bild, das sich regelrecht in ihr Bewusstsein eingebrannt hatte, war, wie sie auf dem Flugdeck der ‚Raleigh‘ zu sich kam. Der Notarzt zog ihr, ziemlich unangenehm, einen Schlauch aus dem Mund, woraufhin sie hustend, die letzten Reste der Atmungsflüssigkeit ausspuckte.


Wenig später fand sich Willow auf einer der Pritschen der Krankenstation sitzend wieder und blinzelte in die Leuchte, die Doktor Kelly Nakamura ihr auf die Pupillen richtete. Die ältere Frau nickte zufrieden, wobei die noch immer vollen von grauen Strähnen durchzogenen schwarzen Locken, welche die Asiatin trug, hin und her wippten.

„Das sieht eigentlich gut aus, Schätzchen“, verkündete die Ärztin triumphierend. Nakamura war einer der wenigen Terraner, die an Bord dienten. Auf den Kolonien gab es eine ganze Reihe Menschen, die sich dazu entschlossen hatten, gemeinsam mit den ehemaligen Dienern zu kämpfen. Willow war sich nie wirklich sicher, woran dies liegen mochte, vermutete jedoch, dass es einen Unterschied machte, ob man auf Terra oder hier draußen lebte. Ob man seinen Alltag mit den ‚Sklaven‘ verbrachte, das Leben mit ihnen teilte, oder sie kaum zu Gesicht bekam. Natürlich musste man auch die Tatsache berücksichtigen, dass sich einige ihrer menschlichen Kameraden nicht freiwillig hier befanden - dass sie quasi mit ihnen im selben Boot saßen. Verbannung war nach wie vor eine beliebte Strafe auf Terra. Möglicherweise gab es für einige der Menschen aber auch noch einen weiteren, intimeren Grund. Einen, der im Schnitt neun Monate nach der „intensiveren Bekanntschaft“ zwischen Mensch und Diener in Erscheinung trat.

Sie vermutete, dass dies der ausschlaggebende Punkt war, weswegen derart penibel darauf geachtet wurde, ihre Artgenossen nicht beim irdischen Militär einzusetzen.

Kelly legte die LED-Leuchte zur Seite und entfernte die Blutdruckmanschette von Willows Oberarm, bevor sie die Daten, welche das Gerät auf dem Display der Med-Einheit ausgespuckt hatte, aufmerksam betrachtete.

Die Ärztin musterte Willow aus den Augenwinkeln. „Deine Werte sehen gut aus, Schätzchen. Ich denke, du solltest dich noch ein wenig Schonen, dann kannst du dich wieder zum Dienst melden.“

Das Schott der Tür glitt mit einem sachten Surren zur Seite, und Ansgar, der Kommandeur des Schiffes betrat die Krankenstation. Er ließ den Blick zwischen Willow und der Ärztin schweifen, bevor er Kelly ansprach: „Wie geht es ihr, Doktor? Kann ich mit ihr reden?“

Kelly zuckte mit den Schultern. „Übertreibs´ nicht, Käpt´en, dann hab ich nichts dagegen.“ Ansgar nickte, offensichtlich erleichtert, und wandte sich an Willow.

„Willow, was ist da draußen passiert?“

Die Leopardin blickte zu Boden, bevor sie den alten Wolf fixierte. „Eine Staffel Aufklärer der ‚Eclipse‘ erwartete uns bereits, als wir ins System sprangen. Ich konnte nur entkommen, da ich mich tot stellte.“

Der Wolf kratzte sich hinter einem der Ohren, bevor er die Arme verschränkte. „Denkst du, dass sie deinen Sprungvektor anpeilen konnten?“

Willow schüttelte energisch den Kopf. „Nee, glaub ich nicht. Der Pilot, der mich am Ende bemerkte, war zu sehr in den Kampf vertieft – der hat nicht mal mitbekommen, als ich den Antrieb auflud.“

Ansgar nickte. „Hoffen wir das Beste. Wenn du dich fit genug fühlst, geh in die Messe und iss etwas. Danach versuchst du dich auszuruhen.“

Eine gute Stunde später saß Willow in der Mannschaftskantine und ‚genoss‘ den heutigen Haferschleim und musterte eine bräunlich-schwarze Flüssigkeit in ihrer Tasse, welche, so vermutete sie, Kaffee darstellen sollte. In exakt jenem Moment durchbrach das aggressive Jaulen des Alarmes die Ruhe, und ihr Kommandeur brüllte den Befehl zum Start einer Schwadron Abfangjäger in die PA-Anlage: Der terranische Träger hatte sie erneut aufgespürt!

Willow rannte durch das heruntergekommene, veraltete Schiff, welches die Menschen schon vor über einem halben Jahrhundert ausgemustert hatten. Für sie selbst und ihre Kameraden war die „Raleigh“ jedoch mehr als ein Stück alten Schrottes, der durch die Unendlichkeit des Universums trieb – sie war ein kleiner Fleck Heimat und der Beweis, dass sie zu mehr in der Lage waren, als nur die willfährigen Diener ihrer Herren zu sein.

Die Leopardin begab sich zu ihrem ebenfalls stark in die Jahre gekommenen Jäger, setzte den Helm auf und verband den Raumanzug mit der Lebenserhaltung.

Als die Abschussbucht ihre Maschine mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit ins Vakuum beförderte, war es im Grunde bereits zu spät: Sie konnte nur noch hilflos zusehen, wie das terranische Basisschiff aus der Raumzeit-Verzerrung austrat und unmittelbar zu feuern begann.

Mehrere Salven der Railguns durchschlugen die „Raleigh“, bevor ein Schwenk des beweglich gelagerten Partikel-Geschützes der Menschen ihren Träger regelrecht in zwei Teile schnitt.

Das alte Schiff brach der Länge nach auseinander. In Willows Kopf zeichnete sich das comichafte Bild eines Hot-Dog-Brötchens ab, das aufgeklappt wurde. Sie erkannte Kameraden, mit welchen sie ein knappes Jahr zusammen gedient hatte, die hilflos durch das Nichts des Alls trieben und versuchten Sauerstoff zu atmen, der hier nicht vorhanden war.

Der Rest war keine Raumschlacht und das Wort „Massaker“ war die Untertreibung des Jahrhunderts: Man schlachtete sie ab, wie eben das Vieh, welches ihre Schöpfer in ihnen sahen. Die terranischen Piloten machten keinen Unterschied: Ob Rettungskapsel oder Jäger, die ihre Antriebssysteme und Waffen deaktivierten, um sich zu ergeben – alle fielen dem Zorn der Erde zum Opfer und ihren begierigen Vollstreckern.

Willow konnte fühlen, wie sich ihre Atmung immer weiter beschleunigte. Sie drohte zu hyperventilieren. All dies war zu viel. Sie hatte sicherlich niemals vor gehabt, Soldatin zu werden. Die Leopardin hatte sich aus dem Wunsch heraus gemeldet, etwas zu verändern, selbst, wenn sie nur die Maschinen an Bord reparieren würde. Sie wollten endlich wie Gleichgestellte behandelt, nicht wie Tiere gehandelt werden. Vor allem sollte man ihnen den Respekt entgegenbringen, welchen sie verdienten.

Schließlich waren es nicht die Terraner, die arbeiteten. Egal ob auf Mars, Europa oder sonst wo. Über sämtliche Kolonien verteilt, waren es ihre Leute und die wenigen menschlichen Kolonisten, welche die Drecksarbeiten verrichten. Sie waren das Rückgrat der terranischen Wirtschaft. Für fast ein Jahrhundert taten sie wie geheißen, immer in der Hoffnung auf die Anerkennung, ja die Akzeptanz durch ihre Herren. Gedankt wurde es ihnen niemals. So kam es, wie es kommen musste: Sie forderten ihre Gleichstellung und würden notfalls dafür zu den Waffen greifen.

Willow Ohne-Namen betrachtete, wie durch einen Schleier des Grauens, was sich um sie herum abspielte. Die Piloten der ‚Eclipse‘ gingen mit einer Grausamkeit gegen ihre Freunde vor, die sie zuvor nie für möglich gehalten hätte. Einige der feindlichen Piloten schienen mit den verzweifelt Flüchtenden zu spielen, wie ein Rudel Jagdhunde mit einem angeschossenen Beutetier, während andere gezielt eine Maschine nach der anderen ausschalteten – wie ein Arbeiter am Fließband. Einer der terranischen Piloten fiel ihr besonders ins Auge: Im Gegensatz zu seinen Kameraden schoss er seine Ziele nicht mit Lenkwaffen ab. Er machte sich anscheinend einen Spaß daraus, möglichst nahe an die Jäger seiner Kontrahenten heranzufliegen, und sie mit einem gezielten Schuss in den Kopf auszuschalten – direkt durch die Kanzel der Cockpits. Die nadelförmigen, roten Zapfen, die aus den Einschusslöchern der Steuerkanzel heraus zu Eis erstarrten, sprachen Bände. Willow war sich nicht sicher, ob dies ein Akt der Gnade, oder schlicht und ergreifend besondere Grausamkeit war. Sie bemekerte die Markierungen auf der gegnerischen Maschine und die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag in die Magengrube: Es war der Pilot von heute Morgen.

Auf jeden Fall hatte sie endgültig die Schnauze voll hiervon: das Sterben, die Gewalt, der allgegenwärtige Tod. Ja. Sie wollte von all dem hier nichts mehr wissen. Sie hatte genug. Die Schneeleopardin entschloss sich, von hier zu verschwinden, egal wohin. Hauptsache so weit weg wie möglich, an einen Ort, an dem sie ihre Ruhe haben würde. Nicht mehr töten musste und vor allem, niemandem mehr beim Sterben zusehen brauchte. Sie aktivierte die FTL-Aggregate ihrer Maschine, der Countdown für den Sprung begann. Kein Ziel, einfach nur weg von hier.

Der Zielerfassungsalarm heulte auf. Zwar hatte sie wieder versucht, sich als treibenden Schrott zu tarnen, indem sie den Antrieb und das Freund/Feind-System deaktivierte, aber ihren Verfolger schien dies nicht zu täuschen: Ein terranischer Mark-IV-Jäger hatte sie erfasst – es war der Pilot, auf den sie bereits heute Morgen getroffen war, der, der die Cockpits ihrer Kameraden zerschossen hatte.

Nicht mit ihr!

Hauptmann Willow hatte mit ihren 27 Jahren noch nichts geleistet, dass eines eigenen Nachnamens würdig wäre und wurde von daher nur „Ohne-Namen“ genannt. Die Schneeleopardin tauchte in einem steilen Winkel nach „unten“ ab, selbst, wenn dies in der Unendlichkeit des Nichts ein vager Begriff war, zündete den Nachbrenner und hoffte darauf, dem Menschen so lange ausweichen zu können, bis der Überlichtantrieb voll aufgeladen war.

In dem Moment, in dem Willow bemerkte, wie sich der Raum um sie herum in bläulichen Schlieren zu verzerren begann, traf sie die Salve des terranischen Piloten. Sie prüfte die wild piepsenden Instrumente im Cockpit: Schilde waren ausgefallen, sonst war die Maschine aber scheinbar unbeschädigt. Willows Jäger sprang auf Überlichtgeschwindigkeit.

Kommentare 4

  • Sagst dann bitte Bescheid ab wann das Buch zum Erwerb freigegeben wird! :020:

    • Hallo,


      das mach ich natürlich gern - aber, falls du Interesse (und kein Problem damit, die unlektorierte Version zu lesen) haben solltest - ein paar Betaleser such ich noch.


      Gruß, Henry

    • Hi, schreibst du immer solche Kriegs - Geschichten oder schreibst du in anderen Genres?

    • Hm, das ist ein wenig schwierig zu beantworten. Da Inseparable, je nachdem wie der Verlag splittet, in 6 Romanen a 500 Seiten, oder in 3 a 1000 erscheinen wird, kommt in absehbarer Zeit nichts anderes. Allerdings umfasst der Handlungsstrang im Krieg nur etwa ein Viertel (bei der 500 Seiten Variante) des ersten Buches. Danach geht die Handlung in einer anderen Richtung weiter.


      Nach Inseparable wird vermutlich ein Fantasy Krimi erscheinen, der steckt allerdings noch früh in der Konzeption.